Büro oder Homeoffice – welche Regeln zur Wahl des Arbeitsplatzes sollen denn Unternehmen nun festlegen? Was nützt dem Fortschritt und dem Profit? Die Meinungen der selbsternannten Expert*innen (ich bin auch so einer) sind geteilt. Schauen wir erst einmal auf die Gemeinsamkeiten aller Beobachter: die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen – oder wie der Anglophile zu sagen pflegt: “The genie is out of the bottle”. Hybrides Arbeiten, das heißt die Kombination von Präsenz im Firmenbüro und Arbeiten von Irgendwo, ist aus der Realität der Unternehmenswelt nicht mehr wegzudenken. Große Unternehmen haben das schnell verstanden – auch wenn sie sich jetzt noch mit verschiedenen Modellen herumprobieren. Manche kleine und mittlere Unternehmen zieren sich noch, weil sie nicht wissen, wohin die völlige oder partielle Wahlfreiheit des Arbeitsplatzes führen wird.

In diese Debatte platzt ein Artikel der Mercury News, eine Publikation aus San Jose, mit dem Titel “Google and Twitter reopenings launch grand experiment on the future of Silicon Valley work”. Es geht um die neue Wasserscheide. Wie berichtet wird, schlagen Google und Twitter zwei unterschiedliche Strategien ein:

“Google wants most workers back in its Bay Area offices for three days a week in a “hybrid” workplace scheme, while Twitter said it would open all offices March 15 but let most employees come in whenever they wish — or even work full time and permanently from home.”

Es geht also nicht mehr um das ob von hybrider Arbeit, sondern das wie. In meinem Praxisbuch Hybride Teams habe ich über die Nach- und Vorteile hybrider Arbeitsformen geschrieben:

 

Nachteile hybrider Arbeitsformen

Informationsfluss: In hybriden Teams kann der Informationsfluss leiden. Transparenz erfordert Vereinbarungen und Disziplin. Alle können schnell die Übersicht verlieren, wer sich zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort befindet. Damit wird es schwieriger, Zusammenarbeit zu planen.

Leistungsbewertung: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die häufiger vor Ort im Büro sind, haben eine größere »Sichtbarkeit«. Das kann zu ihrer Bevorzugung beitragen, zum Beispiel bei Beförderungen. Für die Führungskräfte wird es schwieriger, die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeitenden einzuschätzen. Damit funktionieren die klassischen Instrumente der Leistungsbeurteilung nicht mehr so wie zuvor. Auch die damit verbundene Entlohnung verlangt nach neuen Systemen.

Teamdynamik: Es wird schwieriger, neue Mitarbeitende zu onboarden und ins Team zu integrieren. Teambuilding, das in analogen Teams oft unbewusst und nebenher abläuft, bedarf zusätzlicher Anstrengungen.

Individuelle Bedürfnisse: Bei manchen Mitarbeitenden kann es zu einem Gefühl der Isolation und Vereinsamung kommen. Dies bringt die Betroffenen dann in einen Konflikt: Sollen sie ihren Wunsch, häufiger von zu Hause auszu arbeiten, zurückstellen und doch wieder regelmäßig ins Büro gehen? Auch sind nicht alle Menschen im Homeoffice produktiver als im Büro. Hier gibt es große individuelle Unterschiede, die die Führungskräfte beachten müssen.

Unterschiede: In vielen Unternehmen gibt es Bereiche, in denen eine Anwesenheit der Mitarbeitenden zwingend notwendig ist. Dazu gehören Produktion, Labor, Lieferdienste und andere Bereiche, die manuelle Arbeit an Maschinen oder andere Tätigkeiten umfassen, die nicht ausschließlich am Bildschirm erledigt werden können. Die Flexibilisierung des Arbeitsplatzes für einen Teil der Beschäftigten des Unternehmens kann zu Unzufriedenheit beim anderen Teil führen, der täglich ins Auto oder ins öffentliche Verkehrsmittel steigen muss, um zur Arbeit zu gelangen.

Technologie: Das Unternehmen muss in zusätzliche Technologie investieren und die besten Plattformen für die Zusammenarbeit anschaffen und einführen. Hybride Meetings, also solche, bei denen ein Teil des Teams vor Ort ist und sich ein weiterer Teil von unterschiedlichen Standorten aus zuschaltet, haben das Risiko, weniger effektiv und inklusiv zu sein

Wohlbefinden: Die gesundheitliche Verfassung und die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden können leiden, ohne dass dies die Kolleginnen und Kollegen oder die Führungskräfte mitbekommen. Die hybride Arbeitsweise kann dazuführen, dass Mitarbeitende glauben, ständig verfügbar sein zu müssen. Dies kann zu einem Burnout führen.

Veränderungsprozess: Die Einführung und Konsolidierung hybrider Teamarbeit ist ein großer Veränderungsprozess, der viele Konsequenzen hat und gesteuert werden muss. Wie jeder Changeprozess bindet dies Ressourcen und birgt die Ge fahr der Verringerung von Produktivität.

 

Vorteile hybrider Arbeitsformen

Zufriedenheit: Die freiwillige Entscheidung darüber, von wo gearbeitet wird, kann zu einer größeren Zufriedenheit der Mitarbeitenden führen. Hybrides Arbeiten erhöht die Lebenszeit, die alle zur freien Verfügung haben. Im Idealfall bestimmt die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter selbst, in welcher Umgebung sie oder er sich am wohlsten fühlt – Ausstattung der Räumlichkeiten, Temperatur, Geräuschpegel und die Anwesenheit von anderen Personen, Kindern und Haustieren sind idealerweise unter ihrer Kontrolle. Die Produktivität von Mitarbeitenden kann steigen, wenn sie selbst darüber bestimmen, wo sie am besten arbeiten.

Teamentwicklung: Für die Teams besteht der Zwang zu einer höheren Selbstorganisation und Selbstverantwortlichkeit. Dies kann sich positiv auf die Unternehmenskultur auswirken. Infolge der höheren Selbstverantwortlichkeit können sich Führungskräfte mehr auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren, nämlich der Führung und Entwicklung von Menschen sowie auf strategische Aspekte.

Leistungsbewertung: Der Fokus der Bewertung der Arbeitsleistung verschiebt sich von der Messung der Arbeitszeit auf die Bewertung des Outputs.

Recruiting: Unternehmen können neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen; gerade solche, die selbstverantwortlich arbeiten möchten. Diese neuen Kolleginnen und Kollegen müssen noch nicht einmal am gleichen Ort oder im gleichen Land leben. Es ist also möglich, ein globales Team zusammenzustellen, so wie es viele Unternehmen bereits als selbstverständlich betrachten.

Veränderungsprozesse: Der Zwang zu einer größeren Transparenz, zu regelmäßigem Feedback und einemgeordneten Informationsfluss birgt die Chance einer echten Kulturveränderung. Die Entwicklung der technischen Kenntnisse und Fähigkeiten in der Beherrschung der digitalen Technologie und die größere Offenheit für Veränderungen wird zum Konkurrenzvorteil des Unternehmens in der modernen Welt. Mitarbeitende lernen, sich mit anderen Menschen zu vernetzen und dies wirkt auch über die Unternehmensgrenzen hinaus, zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Kundinnen und Kunden sowie anderen Stakeholdern.

Kennzahlen: Das Unternehmen kann Kosten einsparen, indem die Büroflächen reduziert werden. Die CO2-Bilanz des Unternehmens verbessert sich durch geringere Reisetätigkeit. Dadurch, dass die ganze Welt in den letzten Jahren erkannt hat, dass man effektive Besprechungen auch mithilfe digitaler Plattformen haben kann, sinkt insgesamt die Notwendigkeit von Kurzreisen. Die Unsitte, für ein Meeting von Frankfurt nach New York und danach wieder zurückzufliegen, gehört hoffentlich der Vergangenheit an.

 

Packen wir es an

Es stehen also in jedem Unternehmen strategische Entscheidungen an, die eine langfristige Auswirkung auf Mitarbeiterbindung, Innovation und Profitabilität haben werden. Diese Entscheidungen wollen wohl überlegt sein; eine kleiner ins Wasser geworfener Kiesel kann große Wellen verursachen.